Downloads

button close

Tiefenscharfe Zeitdiagnosen. Andreas Gursky mit neuestem Gigantenfoto »Amazon« in Düsseldorf
von Stefan Lüddemann

Essay
2016

erschienen in: Neue Osnabrücker Zeitung, 30. Juni 2016

Düsseldorf. Andreas Gursky ist Star der Fotokunst. Mit Bildern von Rockkonzerten und Formel 1-Rennen bringt er unsere Zeit auf den Punkt. Düsseldorf zeigt jetzt neue Bilder - und bringt Gursky mit den Größen der Kunst ins Gespräch.

Oben der rote Fußball, unten das Buch über den Calvinismus und irgendwo zwischendrin die »Star Wars«-DVD - alles nur Treibgut im Medienozean des Amazon-Lagers. Andreas Gursky hat im Depot des Handelsriesen in Phoenix (US-Bundesstaat Arizona) hinter die Tür und auf die Regale geschaut. Vier Meter breit und zwei Meter hoch ist sein neuestes Gigantenfoto. »Amazon« fasziniert und erschreckt zugleich. Das Bild besitzt die Schönheit einer Meereslandschaft. Und es bestürzt mit jener emotionslosen Überschärfe, mit der es unsere Epoche als rettungslos anonymisierte Konsumwelt aufrastert.

Der 1955 in Leipzig geborene und an der Kunstakademie Düsseldorf in der legendären Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher ausgebildete Andreas Gursky ist ein eher kleiner Mann, der auf der Straße nur Kunstkennern auffällt. Aber seine bis auf den Punkt perfektionierten Fotos im extremen Großformat bilden das Porträt der globalisierten Gegenwart. Bilder wie »99 Cent« mit den Supermarktregalen, das Foto der Sneaker-Vitrine, Bilder aus Börsensälen oder aus der Boxengasse von Michael Schumacher sind längst zu Signets unserer Epoche avanciert. In seiner neuen Präsentation »nicht abstrakt« in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf setzt Gursky diese Linie mit »Amazon« oder dessen Schwesterbild »Mediamarkt« fort. Die Umschlagplätze trivialen Massenguts identifiziert Gursky als die wahren Kathedralen unserer Zeit.

Doch der expandierende Ausgriff geschieht nun noch in zweiter Richtung. Marion Ackermann, scheidende Direktorin der Kunstsammlung und Kuratorin der Ausstellung, platziert Gurskys Bilder im sogenannten »Amerikanersaal« und inszeniert damit ganz große Kunstgeschichte. Denn Gurskys Foto-Riesen ersetzen nun Gigantenformate von Jackson Pollock, Andy Warhol, Robert Rauschenberg und weiteren Heroen der Kunst. Gursky besteigt so den Olymp des klassischen Kanons der Moderne. Zwei seiner Fotos bringen die Kunst ins Bild, die der Fotostar nun aussticht – Jackson Pollocks »Nummer 32« und Barnett Newmans abstraktes »Vir Heroicus Sublimis«. Fotografie als Konkurrentin der Malerei?

Gursky steigt in den Ring für diesen Wettkampf um den ersten Rang der Bildkünste. Seine Fotos überwältigen als tiefenscharfe Zeitdiagnosen. Sie sollen aber auch als gebaute Bilder mit abstrakter Formqualität überzeugen. Und möglichst noch geistigen Hallraum aufweisen. Der Fotokünstler stellt den überzeugenden Bezug in beide Richtungen her. Und Kuratorin Ackermann klinkt Gurskys auf Auktionen in Millionen gehandeltes Œuvre mit mutigem Griff sicher in die Kunstgeschichte ein. In weiteren Sammlungsräumen kontrastiert sie Gurskys Mediamarkt-Panorama mit einer aus Leuchtröhren gefügten Installation von Minimal Art-Klassiker Dan Flavin. Das ausladende »Lager«-Bild nimmt den Dialog mit Piet Mondrians abstrakten Rastern auf.
Gurskys Großfoto »Katar«, der Blick in einem golden schimmernden Riesentresor, antwortet gar auf »Palazzo Regale«, letzte Installation und religiös aufgeladener Goldschrein von Joseph Beuys.

Gurskys Bildstrecke zieht sich nun wie eine Prachtstraße der künstlerischen Fotografie durch eine Sammlung, die die Kunst des 20. Jahrhunderts perfekt abbildet. Natürlich gehört Gurskys Werk zum Kernbestand zeitgenössischer Kunst – und das im globalen Maßstab. Mit der Düsseldorfer Präsentation findet sich dieses Fotowerk nun, und damit einen großen Schritt weitergehend, in den Kanon der Moderne eingefügt. Andreas Gursky steht mit Gerhard Richter auf dem Siegertreppchen der Zeitgenossen uneinholbar weit oben.

Trotzdem hebt der Künstler nicht ab, sondern sucht Vertrautheit und Kontakt - zum Beispiel bei den »Toten Hosen«. Deren Konzerte verfolgt er seit Jahrzehnten. Mit seinem ozeanisch breiten Querformat »Die Toten Hosen« (2000) hatte er der Rockband wie dem Kulturformat des Rockkonzertes selbst ein Denkmal gesetzt. Jetzt zeigt er die »Toten Hosen« wieder, als Schatten mit E-Gitarre auf der LED-Wand kurz nach dem Ende eines Konzertes in Berlin-Tempelhof. Die Musik ist verklungen, das Bild bleibt - als Denkmal der Popkultur und als ganz persönliche Signatur des Künstlers Andreas Gursky.

Mehr von Stefan Lüddemann: www.noz.de/kunst