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Andreas Gursky. Zu seinem Selbstverständnis als Maler-Fotograf
by Beat Wismer

Essay
2013

published in English in: Oris, No. 79, 2013, pp. 198-209

Dass die Diskussion über das der Malerei (angeblich) Ähnliche oder Vergleichbare des Werkes von Andreas Gursky gerade vor der 2011 entstandenen umfangreichen Serie der Bangkok-Bilder wieder intensiv geführt wird, überrascht kaum: könnte sich doch wohl jeder in der modernen Malerei Bewanderte unmittelbar an informelle Bilder erinnert fühlen. Eine oberflächliche Ähnlichkeit mit der fotografierten und bildbearbeiteten, Licht reflektierenden und tatsächlich ausgesprochen malerisch wirkenden Wasseroberfläche des verschmutzten Flusses Chao Phraya ist Werken von Malern wie Jackson Pollock, Clyfford Still, Mark Rothko, Sam Francis, Cy Twombly und anderen nicht abzusprechen. Vor allem seit den frühen 1990er-Jahren, als der in Fotografie ausgebildete Künstler dazu überging, seine Bilder digital zu bearbeiten oder, später, sie teilweise oder gar gänzlich am Computer aufzubauen, sind die Bilder von Andreas Gursky immer wieder in Texten mit Werken von Malern in Verbindung gebracht worden. Auch Gursky selbst hat in seinen raren Interviews immer wieder seine Arbeitsweise mit der eines Malers verglichen.

Es sind verschiedene Maler, die im Zusammenhang mit Gursky immer wieder genannt werden: Jackson Pollock etwa für die Größe der Bilder und das Prinzip des All-over; Barnett Newman, Blinky Palermo oder Ellsworth Kelly für die sich einfach und offensichtlich darbietende, lagernde Streifenkomposition, wie sie Gurskys Werkserie Rhein von 1999 dominiert oder auch die Prada-Bilder von 1996; ebenfalls für Prada, aber auch für andere, die egalitäre massenhafte Inszenierungen von Gegenständen wie in 99 Cent von 1999 oder von Personen wie in Love Parade von 2001 oder in der Werkgruppe Pyongyang von 2007 zeigen, wird gerne und nicht überraschend auf Andy Warhol verwiesen. Es stellt sich jedoch die Frage, was durch das Aufzählen von Namen von Malern, die wir vor diesen Bildern assoziieren, an Erkenntnissen gewonnen werden könnte. Denn darum kann es ja nicht gehen: dass, nachdem der Fotografie seit einem halben Jahrhundert ihr Platz im Museum der bildenden Künste eingeräumt ist, damit quasi der Kunstanspruch dieses Schaffens legitimiert würde.

Die ersten freien Arbeiten von Andreas Gursky entstehen um die Mitte der 1980er-Jahre, zur Zeit seines Studiums in der Fotoklasse von Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie. 1992 findet die erste Einzelausstellung des Künstlers in einer öffentlichen Institution, in der Kunsthalle Zürich, statt. Im Katalog dazu wird auch ausführlich über Malerei gesprochen. In jener Zeit der dezidierten und sehr bewussten Weichenstellung tritt Gurskys »Selbstverständnis als Maler-Fotograf« (Beate Söntgen) auch insofern deutlicher hervor, als er in der digitalen Bearbeitung seiner Bilder Möglichkeiten erkennt, welche traditionellerweise, im Paragone der Künste, der Malerei vorbehalten schienen und diese Gattung unter dem Aspekt der Erfindung von Bild-Wirklichkeit über die anderen Künste hinaushoben: »La pittura fa parere quello che non è.«

Innerhalb Gurskys Werkreihe Ohne Titel – die im Gegensatz zu den sonstigen Fotografien, die gewöhnlich nach den Orten bezeichnet sind, an denen sie aufgenommen wurden, auf nicht näher definierte Orte verweist – widmen sich mindestens drei explizit dem Medium Malerei: Untitled VI von 1997 zeigt ein All-over-Großformat von Jackson Pollock, ausgestellt im New Yorker MoMA, zwei andere, Ohne Titel X und Ohne Titel XI, beide von 1999, geben jeweils ein ganz enges Detail aus Gemälden aus dem 19. Jahrhundert wieder. Das eine stammt von John Constable, das andere von Vincent van Gogh. Der ganz eng fokussierende Blick Gurskys in die Malerei von John Constable einerseits, in jene Vincent van Goghs andererseits in den Werken Ohne Titel X und XI offenbart in den Blow-up-Formaten Erstaunliches: Im Eintauchen quasi des Kamerablicks in den Matsch der pastosen Malerei Constables eröffnen sich unserem Auge das Bild vom Dickicht einer tatsächlichen morastigen Landschaft ebenso wie auch die Totale oder ein Ausschnitt einer Landscape des englischen Malers, gleichzeitig fühlen wir uns auch an Details von Küstenlandschaften erinnert, wie sie viel später, 2010, am Rand der Ocean-Bilder von Gursky auftauchen; bei van Gogh andererseits evoziert bereits das Detail der aus dem Zusammenhang des Ganzen herausgesuchten Pinselschrift ein ganzes Ährenfeld – sei es ein von van Gogh gemaltes oder aber ein tatsächliches, vom Wind bewegtes. Anders gesagt: Das Ganze liegt schon im Detail, es gilt nur, es zu sehen.

Gursky ist immer zuerst ein Bilder-Finder, immer erst in einem zweiten Schritt ein Bild-Erfinder. Gurskys Bilder entstehen nicht aus dem Nichts, da gibt es immer ein Vorgefundenes: egal, wie weit das Vor-Bild danach weiterbearbeitet wird, bis es endlich Gurskys Vorstellung entspricht, die durch das Gesehene angeregt oder ausgelöst worden ist. Angesichts der Strenge der Komposition und ihrer imponierenden Größe erheischen Gurskys Bilder den Respekt des Betrachters, und die Sprache der Rezensenten nähert sich ihnen meist auch mit Respekt, wenn nicht mit Pathos: Von »Weltbildern« ist da immer wieder zu lesen. Ein so leichtfüßig daherkommendes Wort wie »Schnappschuss« scheint sich vor diesem Schaffen zu verbieten, es sei denn, wir verstehen unter »Schnappschuss« die Darstellung eines Geschehens, das sich so selbstverständlich leicht darbietet, dass es nichts mehr verrät vom Willen zur unverrückbaren Komposition, der dahinter gewirkt haben mag.

Andreas Gursky bezeichnet selbst frühe Bilder wie Zürich I von 1985, Salerno von 1990 oder Genua von 1991 als »Schnappschüsse«, als Bilder, die sich ihm anboten, in deren innerer Ordnung sein Blick eine Komposition erkannte, intuitiv erkannte, an der es wenig zu verbessern gab. Im Zusammenhang mit dem Schnappschuss steht der Begriff der Intuition für das ungeplante, aber wache Erkennen eines Bildes hinter einer sich dem Auge offerierenden Ansicht. Der Philosoph erkennt in der Intuition die höchste und höchstentwickelte Form der Erkenntnis; Intuition hieße hier dann die Fähigkeit, die Kunst, die Komposition, das Bild also zu erkennen, das sich dem Künstlerauge in der vor ihm liegenden Natur zu erkennen gibt, oder die Anregung vom erkannten inneliegenden Vor-Bild anzunehmen und zum eigenen Bild zu entwickeln. In der Verbindung von objektivem »Gegeben Sei« und subjektivem oder eben intuitivem Blick darauf, in der Aufhebung dieser beiden Ansätze in einer intuitiven Bildregie lässt sich nun Gurskys Positionierung und Herkommen als Foto-Künstler umreißen.

Dies mag folgende Situation letzten Sommer in Gurskys Atelier beim Durchblättern einer Publikation verdeutlichen: Tageslicht fällt vom Deckenfenster auf die schwarze Tischplatte und auf die aufgeschlagene Bildseite mit einem Ohne Titel-Bild, macht aus der Abbildung auf dem schwarzen Grund etwas Eigenes. Andreas Gursky hält unvermittelt inne, bittet mich, nicht weiterzublättern, das Buch so, an der Stelle, aufgeschlagen liegen zu lassen, er holt seine Kamera und hält das Bild mit Abbildung, Buch auf der schwarzen Tischplatte und Lichtreflex fest. Er lächelt, zufrieden: »So entstehen Bilder«.